Ich habe dich an diesen Platz gestellt


„Herr, gib mir Kraft, das zu ändern, was ich ändern kann, gib mir Geduld, das hinzunehmen, was ich nicht ändern kann, und gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
So oder ähnlich lautet ein Spruch, den ich einmal in einem Büro hängen sah. Und es ist wahr, wir müssen bemüht sein, die Dinge zum Besten zu ändern. Aber wir müssen auch in der Lage sein, die Dinge, die sich nicht ändern lassen, hinzunehmen und aufzuopfern. Dabei ist es wichtig und hilfreich, wenn wir versuchen, diese Dinge als von Gott gefügt anzusehen.
Dabei fällt mir eine Geschichte ein, die ich vor einiger Zeit hörte: Bruder Michael war enttäuscht. So viel hatte er sich vorgenommen. Jetzt war er schon ein halbes Jahr hier in der Mission und noch keinen seiner großartigen Pläne hatte er umsetzen können. Er war vor einem halben Jahr aus Europa hier in der afrikanischen Mission eingetroffen – mit dem Eifer und der Energie eines Kreuzritters. Was hatte er sich in seinen Träumen nicht alles ausgedacht. Er wollte die ganze Welt, oder doch wenigstens alle Stämme Afrikas bekehren. Er wollte die Mission ausbauen. Er wollte den Kontakt zu den Menschen intensivieren. Die großartigsten Dinge hatte er sich ausgedacht. Und was von all dem hatte er bisher umgesetzt? Nichts! Aber es war auch zum Verzweifeln. Jeder Vorschlag, den er vorbrachte, wurde von seiner Obrigkeit entweder nicht ernst genommen oder gerade heraus abgelehnt (nebenbei bemerkt ging es hier nicht um Glaubensfragen, sondern um organisatorische oder praktische Fragen). Als er von seinem Oberen in Europa den Ruf erhielt, nach Afrika in die Mission zu gehen, den Ruf, auf den er so lange gewartet hatte, da hatte er sich mit Freuden gesagt, dass der Ruf des Oberen der Ruf Gottes sei. Aber jetzt? Machten seine Vorgesetzten da nicht große Fehler? Hatte nicht doch Gott anderes, größeres mit ihm vor? War er hier nicht am falschen Platz? Sollte er nicht doch lieber wieder heimgehen?
In seiner Not tat Bruder Michael, was er sich glücklicherweise schon vor langer Zeit angewöhnt hatte. Er hatte einmal gelesen, wie sich Gott den Menschen gegenüber beklagt, dass sie immer zuerst ihre Zuflucht bei den anderen Menschen suchten anstatt zuerst zu Ihm zu kommen. Außerdem kannte er die Worte der hl. Teresa von Avila, dass das innere Gebet ein Gespräch mit Gott wie mit einem Freund sei. Und so hatte er begonnen, sich immer zuerst vor den Tabernakel zu knien oder doch wenigstens sich im Geiste vor Gott zu stellen. So hatte in zahlreichen Fällen Gott ihm Trost gespendet. Und so kniete er auch jetzt wieder vor dem Tabernakel, um Gott sein Leid zu klagen. Auf verschiedene Weise hatte Gott ihm dann Trost zukommen lassen. Meist in der Form, dass Bruder Michael plötzlich klar sah, wie er sich in einer bestimmten Situation verhalten sollte. Oder dass er Kraft hatte, eine Situation zu ertragen. Nur gelegentlich vernahm er in sich eine Stimme, die ihm etwas zuflüsterte. So auch jetzt. Es war ihm als höre er in sich klar die Worte: „Ich habe dich an diesen Platz gestellt“. Erleichtert verließ Bruder Michael die einfache Kapelle. Er wusste jetzt. Dies war genau der Ort, wo Gott ihn haben wollte. Dies war der Ort, der für ihn bestimmt war. So war es auch der beste Ort für ihn. Der Ort, wo er seine Talente am besten einsetzen konnte – wenn es auch momentan nicht so schien. So war es vor allem auch der Ort, wo allein er den Willen Gottes ganz tun konnte.
So kurz und einfach der Satz, den er vernommen hatte, war – er barg eine wichtige Erkenntnis für Bruder Michael. Er gab ihm den inneren Frieden wieder. Weiterhin versuchte er, seine Ideen umzusetzen. Weiterhin versuchte er, die Dinge zum Besseren zu verändern, wo er Verbesserungsbedarf sah. Aber wenn ihm Hindernisse in den Weg gelegt wurden und wenn die Dinge nicht so verliefen, wie er es sich vorgestellt hatte, dann blieb er innerlich in Ruhe und überließ den guten Ausgang seiner Pläne Gott.
Wir gehören in der Regel keinem Orden an. Und wir sind auch nicht irgendwo in der Mission – obwohl das Leben eines jeden Christen auf die eine oder andere Weise Mission sein kann und sogar sein soll. Aber doch können wir von Bruder Michael lernen. Wie wir eingangs schon festgestellt haben, gibt es im Leben eines jeden von uns Dinge, die wir nicht herbeigeführt haben und die nicht in unserer Macht liegen. Wir sind in einer bestimmten Zeit geboren, wir konnten uns auch unser Elternhaus nicht aussuchen. In unserer schulischen und beruflichen Laufbahn sind uns einige Dinge vorgezeichnet. Und auch mein beruflicher Einsatzort liegt nicht unbedingt in meiner Gewalt. All dies sind Dinge, wo Gott auch zu mir sagen kann: „Ich habe dich an diesen Platz gestellt“. Oft höre ich z.B. Menschen sagen, wie schwer und gefährlich die heutige Zeit ist. Und dass dieser Gedanke sie mit Furcht erfüllt. Ich möchte hier die Frage, ob die heutige Zeit schwerer ist als andere, dahingestellt sein lassen. Aber selbst wenn sie außergewöhnlich ist, so ist doch eines klar: Gott hat mich an diesen Platz und in diese Zeit gestellt. Und wenn Er mich in diese Zeit stellt, dann rüstet Er mich auch dementsprechend aus. Er gibt mir alles was ich brauche, um in meiner Situation Seinen Willen zu tun. Zugegebenermaßen hat es heute seine Schwierigkeiten, Christus treu zu folgen. Schon allein deswegen, weil es heute relativ schwer ist, den Weg der treuen Nachfolge zu erkennen (auf der anderen Seite: gab es eine Zeit, in der der Mensch nicht Gott um Klarheit und Erleuchtung in irgendwelchen Fragen angefleht hätte?). Und dann kommen noch die ganzen Probleme von Seiten der Amtskirche oder der Verwandten hinzu, die meinen Weg nicht verstehen. Aber auch hier wissen wir: Gott weiß, Er hat mich nicht einfach blind irgendwo hingesetzt ohne genau zu wissen, was dieser Platz mir an Kreuzen bringen wird. Hadern wir also nicht mit unserem Schicksal, versuchen wir nicht, davonzulaufen. Denken wir daran: Gott hat für mich diesen Platz und diese Zeit auserwählt.
Überlegen wir uns noch kurz, wie es kommt, dass dieser Gedanke, dass Gott mich an meinen Platz gestellt hat, mir Friede geben kann. Ich denke, um wirklich Vertrauen aus dieser Erkenntnis zu schöpfen, bedarf es noch ein paar Voraussetzungen: ich muss erkannt haben, dass Gott der Gute ist und dass folglich Seine Pläne dem Guten entsprechen und letzten Endes immer zum Guten führen. Ich muss einsehen, dass Gott der Herr ist und mich oft als Werkzeug gebraucht, um Seine Ziele zu erreichen. Ich muss aber auch daran denken, dass Gott auch mein Bestes will. Er hat mich erschaffen, damit ich in Seiner Anschauung ewig glückselig bin. Diese Glückseligkeit soll ich auch jetzt nach dem Sündenfall wieder erreichen. Auch jetzt will Gott, dass ich wieder an Seinem göttlichen Leben Anteil habe. Allerdings bedarf es dazu der Losschälung und der Läuterung – denn allzu oft ist die Anhänglichkeit an mich selber oder an die Geschöpfe das, was mich daran hindert, mich ganz Gott hinzugeben und zu öffnen. Das ist aber nicht immer angenehm. Und zuletzt muss ich noch bedenken, dass das, was für mich am besten ist, nicht immer das ist, was ich für das Beste für mich halte.
Wenn ich diese Sachen im Hinterkopf behalte, dann weiß ich, es ist das Beste, wenn ich da bleibe, wo Gott mich hingestellt hat. Denn ich weiß, wenn es auch nicht unbedingt genau so kommt, wie ich es mir vorstelle, so sorgt doch Gottes Plan dafür, dass insgesamt das Gute herauskommt, solange wir diesem Plan nichts in den Weg stellen. Und ich weiß auch, dass Gott am Ende auch für mich das Beste will.


P. Johannes Heyne

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